Divinity betrachtete nervös die Regale voller Lebensmittel. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das Gefühl hatte sie schon seit Wochen jedes Mal, wenn sie in den Vorratskeller ging. Seltsam. Aber sie konnte nicht ausmachen, was es war. Immer wenn sie den Raum betrat, überkam sie eine unbestimmte Angst. Dabei musste man schon seit Ewigkeiten keine Angst mehr haben. Die Wirtschaft war seit Jahrzehnten stabil. Jeder konnte von seinem bedingungslosen Grundeinkommen bequem leben. Man konnte zusätzlich arbeiten und auch ein bisschen dazuverdienen, wenn man wollte, aber man war nicht darauf angewiesen. Divinity selbst hatte gerade wieder ein halbes Jahr Urlaub gemacht.
Nun überlegte sie, ob sie noch eine Ausbildung anfangen sollte. Tierarzthelferin und Lehrerin für Chemie und Musik war sie schon. In beiden Berufen hatte sie auch zwei bis drei Jahre gearbeitet. Außerdem hatte sie immer mal wieder als Barkeeperin gejobbt. All das war kein Problem. Seit die Leute nicht mehr darauf bestanden, ständig vierzig Stunden und mehr in der Woche beschäftigt zu werden, waren immer ein paar Jobs frei und Ausbildungsplätze wurden ohnehin subventioniert. Irgendwelche Workaholics schafften es ja doch immer noch so viel Überschuss zu erwirtschaften, dass davon alle anderen profitieren konnten. Früher war es wohl mal anders gewesen. Divinitys Oma Nina hatte noch davon erzählt. Es war wohl tatsächlich mal üblich gewesen, dass die die am meisten verdienten auch am meisten behielten. Sowas Asoziales konnte sich Divinity kaum noch vorstellen. Es war ja niemandem verboten so viel zu arbeiten, wie er wollte, aber das tat man freiwillig und wenn man besonders viel Geld machen wollte, dann brauchte man Angestellte, die das ebenfalls freiwillig taten. Und bei fünf Millionen pro Person war ja ohnehin Schluss. Alles was an Gewinn oder Einnahmen darüber hinausging, wurde per Gesetz für die Allgemeinheit reinvestiert. Warum sich früher so viele Leute hatten ausbeuten lassen verstand Divinity nicht, obwohl Oma immer wieder versuchte, es ihr zu erklären. Tja, früher hatte es wohl wirklich Grund zum Fürchten gegeben. Aber heute nicht mehr. Divinity schauderte trotzdem.
Sobald sie aus dem Keller heraus trat, war es, als höbe sich eine Last von ihrem Brustkorb und das Gefühl verschwand. Wieder oben im Haus angekommen, nahm sich Divinity eine kühle Limo und machte sich auf die Suche nach ihrem Mann Thorus. Er arbeitete derzeit halbtags als Arzt, aber die meiste Zeit davon verbrachte er im Homeoffice. Die modernen Diagnosetools, die jeder zu Hause hatte, machten eine Ferndiagnose einfach. Nur sehr schwierige Fälle mussten noch in eine Praxis kommen. Auch Behandlungen erfolgten fast alle zu Hause. Es gab ja auch kaum noch eine Krankheit, die nicht geheilt werden konnte. Divinity stutze kurz als sie sich zum zweiten Male daran erinnerte, was ihre Oma ihr über die „alten Zeiten“ erzählt hatte. Ja, auch das Gesundheitssystem war früher wohl nicht so gut gewesen. Früher, vor der Pandemie. Genau wusste Divinity nicht, was damals eigentlich los gewesen war. Geschichte hatte sie auch nie besonders interessiert und Oma hatte auch nicht so gern über die Zeit gesprochen. Man sollte es auch besser vergessen, sagten die meisten Alten, die wenigen, die sich mit ihren weit über hundert Jahren noch erinnerten. Irgendetwas Schreckliches war wohl geschehen, aber danach waren viele alte Systeme zusammengebrochen und man hatte die Welt errichtet, die Divinity kannte. Eine Welt, in der es den Horror, den Oma noch erlebt hatte, nur noch in den sogenannten 20-21er Filmen gab. Aber so einen perversen Mist schaute Divinity sich nicht an. Ganz im Gegenteil zu Thorus. Der fuhr förmlich ab auf die ganzen Endzeitszenarien, die im 20. und 21. Jahrhundert spielten.
Ende der Leseprobe.
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