Tag 1, 04.03.2020

Tanja

„Das darf doch nicht wahr sein!“, brüllte Christian. „Nur weil du den Hals nicht vollkriegen kannst und unbedingt diese Woche noch kellnern musstest, sollen wir alle uns jetzt zwei Wochen in der Wohnung die Ärsche platt sitzen?“

Tanja zuckte zusammen, obwohl das ziemlich genau die Reaktion war, die sie von Christian erwartet hatte. Sie hatte sich in den vierzehn Jahren ihrer Beziehung nie wirklich an seine Ausbrüche gewöhnt. Wahrscheinlich konnte man das auch nicht. „Du hast doch selbst im Januar noch gesagt, es wird knapp mit dem Geld, wegen Sarahs Ballettstunden. Ich wollte nur, dass…“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

„Dann geht sie halt nicht zu der Scheißtanzerei! Das wäre ja wohl besser gewesen als diese Kacke jetzt“, fuhr er ihr sofort dazwischen. Dann schlug er mit der Faust so hart auf den Küchentisch, dass es wahrscheinlich die Müllers zwei Stockwerke tiefer noch hörten. Aber die waren es ja schon gewohnt. Gesagt hatten sie nie was.

Normalerweise sagte Tanja in so einer Situation auch lieber nichts mehr, aber diese Ungerechtigkeit ihrer Tochter gegenüber konnte sie nicht auf sich beruhen lassen. „Nein, wäre es nicht. Den Kampfsport für Clemens bezahlen wir schließlich auch. Das wäre ungerecht Sarah gegenüber.“

„Du willst mir erzählen, dass du dich nur deswegen jeden Abend angaffen und anbaggern lässt?“ Während er weiter zeterte, stand er auf und baute sich dicht vor ihr auf. Als er weitersprach senkte sich seine Stimme zunächst zu einem bedrohlichen Flüstern. „Oder war es vielleicht eher, weil ich dir nicht reiche? Ist es weil ich zu wenig Geld nach Hause bringe?“ Im nächsten Moment explodierte er wieder und schrie: „Verdammte Scheiße ich reiß’ mir den Arsch auf für unsere Familie. Und wofür? Damit meine Frau sich anderen Männern präsentieren und uns alle in Gefahr bringen kann.“

Tanja wich einen Schritt zurück. Auf die Sache mit der Eifersucht einzugehen, würde ihn nur noch mehr zum Ausflippen bringen. Sie versuchte stattdessen lieber zum Thema zurückzukommen. „Es ist ja nur eine Sicherheitsmaßnahme. Ich hab die Gäste, die sie positiv getestet haben, gar nicht direkt bedient. Wahrscheinlich hab ich mich also gar nicht angesteckt. Und selbst wenn, keiner von uns gehört zu einer Risikogruppe. Wir bekommen vielleicht nur eine Erkältung. Die Kinder merken wahrscheinlich nicht mal was“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen.

„Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie gefährlich das ist… verdammte Scheiße nochmal! Wir können ja nicht mal raus um uns was zu Fressen zu holen!“ Während er sie anbrüllte, packte er einen Stuhl und knallte ihn so heftig gegen die Wand, dass er eine Delle im Putz hinterließ. Der Stuhl aber blieb heil. In Filmen sah das immer so leicht aus, dachte Tanja. Ob die meisten Menschen überhaupt wussten, dass Gegenstände in der Realität viel robuster waren?

Menschen übrigens auch.

Zweimal war ihm die Hand ausgerutscht. – Nein! So durfte sie es nicht nennen. Er hatte sie geschlagen. Das musste sie sich eingestehen. Ihr Mann hatte sie zweimal geschlagen. Und sie war bei ihm geblieben. Zweimal in vierzehn Jahren war ja nicht so viel, sagte sie sich manchmal. Andere Frauen machten ja viel Schlimmeres mit. Und er war ja nicht immer so.

„Wir schaffen das schon. Ich ruf meine Mutter an, dass sie uns was einkauft und vor die Tür stellt und ich kann die Kinder ja in der Küche oder in ihren Zimmern beschäftigen, dann hast du im Rest der Wohnung deine Ruhe.“ Unsicher ging sie einen Schritt auf ihn zu. Manchmal half es, wenn sie ihn vorsichtig berührte. Manchmal rastete er dann aber erst recht aus.

Bevor sie sich entscheiden konnte, ob sie es wagen sollte, ihm die Hand auf den Arm zu legen, schob er sie grob zur Seite stürmte an ihr vorbei auf den Balkon. Durch das Fenster sah sie wie er sich eine Zigarette anzündete und anfing draußen auf und ab zu laufen.

Sie rieb sich die Schulter, wo er sie gestoßen hatte. Ja er hatte ihr nur zweimal richtig wehgetan. Schubsen, Festhalten und Schütteln kam schon häufiger mal vor. Und eigentlich war es ein Wunder, dass es beim Schlagen bei den zwei Malen geblieben war, wenn man es mit der Anzahl demolierter Möbel und Türen verglich.

Die Ratgeber ließen es immer so einfach klingen: Null Toleranz bei körperlicher Gewalt! Frauenhaus, Unterstützung, blablabla. Aber da waren ja auch noch die Kinder.

Und da waren die besseren Zeiten: Die Zeiten in denen Christian der lustige Typ war, in den sie sich verliebt hatte, die Zeiten, in denen er mit den Kindern tobte, ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, die Zeiten, in denen sie wusste, warum sie ihn immer noch liebte.

Sarah

In der Küche rumste es laut. Andere Kinder wären vielleicht rausgerannt, um zu schauen was los war. Sarah wusste, dass sie besser in ihrem Zimmer blieb. Sie stand schon seit ein paar Minuten an der Tür und lauschte, wie sich Mama und Papa stritten. Naja, es war hauptsächlich Papa, der rumschrie.

Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es auch ihre Schuld war, weil sie ja ans Telefon gegangen war, als die Frau vom Gesundheitsamt angerufen hatte und mit Mama sprechen wollte.

Mama hatte nur ein paar Minuten mit ihr telefoniert und dann gesagt, die ganze Familie müsse zwei Wochen in Karantene.

Clemens hatte sofort gerufen: „Geil zwei Wochen schulfrei!“

Und Sarah wollte eigentlich fragen, was genau Karantene war, aber da war Papa auch schon wütend geworden und hatte sie beide auf ihre Zimmer geschickt.

Sie hatte ihren Papa wirklich lieb. Die meiste Zeit war er der beste Papa auf der ganzen Welt. Er hatte ihr für die Ballettstunden sogar extra ein cooles Tutu in lila besorgt, weil sie, anders als die anderen Mädchen, kein weißes oder rosanes wollte. Und jetzt sagte er „Scheißtanzerei“. Sarah verstand nicht, warum Papa manchmal so gemein war.

Als sie die Balkontür knallen hörte und es danach still wurde, schob sie ganz langsam ihre Tür einen Spalt auf und schielte auf den Flur hinaus. Von ihrem Zimmer aus konnte sie nicht gut bis in die Küche sehen. Also schlich sie ganz leise, Schritt für Schritt auf den Flur.

Clemens

Fuck, fuck, fuck! Zwei Wochen Chillen und Zocken statt Schule wären ja cool gewesen, aber nicht wenn Papa wieder seine Arschlochphase hatte. Und Mama konnte dann auch nicht einfach mal die Klappe halten. Sie machte es immer nur noch schlimmer.

Und sein Geburtstag nächsten Freitag würde dann wohl auch flachfallen. War ja auch klar: Sein dreizehnter Geburtstag und auch noch am Freitag dem Dreizehnten. Mama hatte schon versprochen, dass sie das nachholen würden. Hoffentlich, wenn Papa gerade mal kein Arschloch war. Dann konnte es echt cool sein…

Klappklapp. Die Balkontür. Puh, das ging schnell. Wenn Papa eine geraucht hatte, ging’s meistens wieder. Also war es vielleicht gar nicht so schlimm. Es sei denn, das war doch nicht nur der Küchenstuhl gewesen, der gegen die Wand gekracht war…

Kacke! Clemens sprang auf und streckte den Kopf aus der Tür. Sein Zimmer lag direkt gegenüber der Küche, sodass er den Esstisch und die eine Hälfte der Küchenzeile sehen konnte. Mama saß mit aufgestützten Ellenbogen am Tisch und hatte die Hände vorm Gesicht. Ein Bein von dem Stuhl vor Kopf war etwas abgeknickt. Also doch alles ok… Halbwegs.

Ende der Leseprobe.

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