Universelle Filterblasen oder gar de-facto-Zensur – Was macht Amazon da?

Sind meine Bücher eine Zumutung für das Kundenerlebnis?
Betreibe ich mit meiner Veröffentlichung „Ausnutzung“ einer aktuellen Katastrophe?

Müssen Menschen am Ende vor Konfrontation mit diesen Büchern geschützt werden?

Diese Fragen musste ich mir kürzlich stellen.

Laut Amazon ist die Antwort auf diese Fragen: Ja.

Begründung:
„Aufgrund aktueller Ereignisse ist Ihre Werbeanzeige oder Ihr Produkt nicht für Werbung mit gesponserten Anzeigen geeignet und wird vorübergehend beschränkt. Um ein gutes Kundenerlebnis zu gewährleisten, entfernen Sie bitte alle Produkte im Zusammenhang mit heiklen Ereignissen wie Naturkatastrophen, von Menschen verursachten Katastrophen, Gesundheitsnotständen, Tragödien, die viele Menschen betreffen, oder dem Tod von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.“ (Zitat, Support Amazon-Advertising)

Hintergrund: Ich habe phantastische Kurzgeschichten zum Thema Corona geschrieben. Ich habe mir intensiv und kritisch Gedanken zu verschiedenen Aspekten der Situation gemacht und versucht diese unterhaltsam zu verpacken.
Ich mache auch auf Auswirkungen und Fragen aufmerksam, die in der öffentlichen Debatte vielleicht zu kurz kommen. Das Thema ist bestimmt nicht einfach. Deshalb gibt es sowohl satirische als auch sehr ernste Passagen. Ich dachte, das ist u.a. genau das, was Schriftsteller tun: sich mit aktuellen Themen auseinandersetzen.

Um es ganz klar zu machen:

Ich werde nicht zensiert. Ich darf veröffentlichen.

Ich darf nur keine Werbung schalten.

In den Richtlinien für Amazonwerbung finden sich unter „verbotene Inhalte“ folgende Punkte, die wohl auf mein Werk zutreffen, aber auch viele andere interessante und kontroverse Werke betreffen könnte (z.B. aktuell jegliche Literatur über Rassismus etc.):

Für Werbung nicht zugelassen sind:

„Inhalte, die umstrittene oder stark diskutierte soziale Themen behandeln.“

„Ausnutzung von Ereignissen wie Naturkatastrophen, von Menschen verursachte Katastrophen, Tragödien, die viele Menschen betreffen, oder der Tod öffentlicher Persönlichkeiten.“
(Zitat, Amazon-Advertising-Richtlinien)

Um es ganz klar zu machen:
Ich werde nicht zensiert. Ich darf veröffentlichen.
Ich darf nur keine Werbung schalten.

Einerseits kann man sagen: Amazon nutzt nur sein gutes Recht als Konzern, zu entscheiden, wie er seinen Auftritt gestaltet.

Andererseits frage ich mich: Fängt da nicht eben doch eine Art de-facto-Zensur an, wenn ein Großkonzern mit so viel medialer Macht entscheidet, dass man Menschen gewisse „heikle Themen“ von vornherein nicht zumuten kann?

Es geht mir auch primär gar nicht darum, dass ich persönlich jetzt vielleicht weniger mit meinen Büchern verdiene. Das ist schade, weil ich viel Arbeit reingesteckt habe und mein Werk natürlich auch gern kommerziell vermarkten würde. (Aber ich hätte es ja besser wissen müssen, als mich mit dem großen, bösen A einzulassen 😉 )

Was mich wirklich erschüttert ist die Bandbreite, mit der diese Richtlinien in das Informationsspektrum der Kundschaft eingreifen.

Ich frage mich: Ist das in Ordnung? Ist das moralisch tragbar? Was macht es mit unserer Gesellschaft, solche Filterblasen zu kreieren?

Sollten potentielle Leser so bevormundet werden? Sollten sie nicht selbst entscheiden dürfen, ob (m)ein Buch sie unterhält, zum Nachdenken anregt und vielleicht sogar ihren Horizont erweitert oder nur reißerische, kommerzielle Ausnutzung einer Tragödie ist?

Ehrlichgesagt, bin ich hier auch schon persönlich etwas betroffen, weil ich mich bei aller Diskussionswürdigkeit meiner Geschichten doch nicht in einen Topf werfen lassen möchte mit Leuten die z.B. kubikmeterweise Desinfektionsmittel gehamstert haben, um es dann überteuert weiterzuverkaufen. Das wäre für mich nämlich „Ausnutzung einer Katastrophe oder Tragödie“. Fairerweise muss man sagen, dass Amazon in diesen Fällen noch deutlich härter reagiert hat und die Produkte ganz rausgenommen hat. Nicht alles schlecht also beim großen A.

Dennoch: Der schale Beigeschmack bleibt.

Amazon ist einer der Hauptvertreiber von Büchern. Da finde ich es schon etwas schwierig, wenn man unter dem Deckmantel eines „guten Kundenerlebnisses“ eine solche Produktfilterung in den Werbeanzeigen betreibt.

Bücher sind neben Unterhaltung und Sachinformation doch hauptsächlich dazu da, sich auch kritisch mit ernsten Themen zu beschäftigen, zum Nachdenken anzuregen und den Horizont zu erweitern. Da ist es wichtig auch kontroverse Meinungen und unbeliebte oder schwierige Themen gleichberechtigt nebeneinanderstehen zu lassen und ihnen Raum zu geben.

Amazon ist einer der Hauptvertreiber von Büchern. Da finde ich es schon etwas schwierig, wenn man unter dem Deckmantel eines „guten Kundenerlebnisses“ eine solche Produktfilterung in den Werbeanzeigen betreibt.

Für mich persönlich heißt das, dass ich meine nächste Veröffentlichung wohl doch anders angehe, auch wenn sie „Kundenerlebnis“-konformer sein sollte. Will heißen: So einfach es mit Amazon auch ist, ein Buch zu veröffentlichen, auch im Hinblick auf volle Flexibilität mit den Autorenrechten etc., vor diesem Hintergrund wäre es mir wahrscheinlich lieber die einjährige Vertragsbindung von BoD oder ähnliches einzugehen.
Vielleicht aber auch nicht…

Wieder was gelernt: Vieles, was heutzutage so einfach aussieht und vor allem so kostenlos daherkommt, hat seinen Preis bei Moral und Werten oder ist eben auf irgendeine andere Art kompliziert…

Bisher ist mit das allerdings nur im umgekehrten Fall begegnet: Von Daten, die von Apps und Websites abgegriffen werden, um einem mit personalisierter Werbung Dinge zu verkaufen, hört man ja öfters. Es gilt aber scheinbar auch für die Auswahl von Dingen, die einem eben nicht verkauft werden, damit man ein „gutes Kundenerlebnis“ hat. Auch darauf werde ich in Zukunft zu achten versuchen.

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