Es hatte alles noch ganz entspannt angefangen: Jedermann war finanziell gut aufgestellt. Kurzarbeit im Homeoffice war für ihn mehr eine Art Urlaub gewesen. Wenn er arbeiten musste, beschäftigte seine Frau die Kinder. Sonst hatte er Zeit mit ihnen zu spielen. Er hatte außerdem gelegentlich mit Freunden telefoniert, aber er gehörte nicht zu den Menschen, die ständig draußen sein mussten um sich mit Hinz und Kunz zu treffen und über Belanglosigkeiten zu schwätzen oder einen heben zu gehen.

Es war sogar regelrecht witzig gewesen, wie die Menschen um Jedermann herum angefangen hatten wie kopflose Hühner herumzuflattern: Die Corona-Krise, eine Pandemie! Wie jedes Mal, wenn etwas passierte, das von der Normalität abwich, hatten einige Menschen erwartungsgemäß völlig den Kopf verloren. Schwer zu glauben, dass es die Menschheit an die Spitze der Nahrungskette geschafft hatte, weil sie so anpassungsfähig war. Eiszeiten, Dürren, Hungersnöte, wieder und wieder die völlige Zerstörung des Lebensraumes und dadurch nötige Völkerwanderungen hatte die Spezies Mensch überlebt. Und jetzt war es vielen scheinbar nicht möglich, sich auch nur daran anzupassen, eine Zeit lang zu Hause zu bleiben oder sich in der Öffentlichkeit ein Stück Stoff vor den Mund zu binden.

Die Menschen, die sonst nach Freizeit schrien, hielten es nun zu Hause kaum zwei Wochen aus, bevor sie sich darüber beklagten, nicht arbeiten zu dürfen. Die Menschen, die ihre Zeit gewöhnlich auf Sitzmöbeln und vor Bildschirmen aller Art verbrachten, bestanden plötzlich darauf rauszugehen und sich zu bewegen.

Für Jedermann war es fast ein alter Hut, die Überreaktionen seiner Mitbürger. Ja, zu Beginn war es noch ganz spannend und sogar belustigend gewesen, sich das Spektakel anzuschauen. Begierig hatte er die Neuigkeiten in Zeitung und Internet verschlungen und mit Scherzen darüber seine Frau zum Lachen gebracht. Zuerst waren es die Hamsterkäufer mit ihren LKW-Ladungen voll Klopapier und Nudeln, die man auslachen konnte. Auch über die in jeder Krise florierende Verschwörungstheoretikerszene konnte man sich gut lustig machen oder über den amerikanischen Präsidenten, der sich mit schon fast bewundernswert ausgesuchter Idiotie benahm. Wäre die Welt ein Schauspiel, dann wäre sie eine Komödie, hatte er gedacht.

Aber im Mai des Jahres 2020, während die ersten Schritte zum Wiederaufbau eines öffentlichen Lebens stattfanden und angeblich langsam Normalität einkehren sollte, waren das anfängliche Interesse an der Entwicklung der Krise und das Amüsement über seine Mitmenschen einer anhaltenden Verbitterung und wachsenden Verachtung gewichen. Jedermann konnte nicht mehr darüber lachen, dass Menschen, die in den angeblich gebildetsten Ländern der Welt lebten, hanebüchene Geschichten glaubten und propagierten. Es ging um Schattenstaaten und Geheimbünde, die eine neue Weltordnung planten oder darum, dass die grassierende Lungenkrankheit eine Erfindung bestimmter prominenter Personen zur Umsetzung absurder, finsterer Pläne sein sollte.

Waren die realen Skandale über Ausbeutung und Steuerparadiese, mit denen sich die Reichen noch mehr bereicherten, denn nicht genug? Hatte die Gesellschaft denn nicht genug damit zu tun, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder oder Gewalt ganz allgemein in den Griff zu bekommen? Nein, offensichtlich mussten es Echsenmenschen und Gedankenkontrolle sein. Und nein, normale Kinderschänder, die in allen Gesellschaftsschichten täglich ihr Unwesen trieben, waren nicht schlimm genug. Es mussten geheime Eliten sein, die aus den Körpern der Kinder mysteriöse Wunderdrogen gewannen. Drunter ging der durchschnittliche Wutbürger nicht mehr auf die Straße. Ach doch, es reichte auch schon, dass man ihm sagte, er solle durch einen behelfsmäßigen Mundschutz seine Mitmenschen vor seinem Speichelauswurf bewahren.

Ende der Leseprobe.

Gib mir noch eine!Hier weiterlesen.

Wenn Du wissen möchtest, wie es mit dieser Geschichte weitergeht, und welche phantastische Wendung sie noch nimmt, kannst Du hier Band II kaufen.
(Oder, wenn Du in der Gegend wohnst, schaust Du mal persönlich in der Buchhandlung Jakobi vorbei: in Frankenberg (Eder) in der Neustädter Straße oder in Marburg im Steinweg.)