Der Waschbär und die Gretchenfrage

Ein modernes Konzept von Religion

In meinen Geschichten lasse ich mich gern mal satirisch über Verschwörungstheoretiker aus und der eine oder andere Seitenhieb gegen die Esoterikszene muss auch sein. Da ist es naheliegend anzunehmen, dass ich ein knallharter Atheist bin und so gar nichts von dem ganzen New-Age-Geschwurbel halte.

Ein putziger Waschbär oder vielleicht doch eine Inkarnation des indischen Elefantengottes Ganesha?

Das stimmt aber gar nicht.

Ich steh total auf Räucherstäbchen, Yoga, Meditieren etc. und ich finde es sehr schade, dass die Eso-Ecke gerade immer mehr in einem Topf mit der Verschwörungstheoretikerszene landet. Denn da gibt es ganz viele vernünftige Leute, die mit ihren Kindern ganz normal zum Arzt gehen, statt sie mit Homöopathie totzupflegen und all diese Horrorstories, die man aus der Szene hört.

Aber ich bin auch betroffen, dass Menschen in gebildeten Erste-Welt-Ländern so sehr das Vertrauen in ihre Mitmenschen und in unsere Gesellschaft verloren haben, dass ihnen Verschwörungsmythen und hanebüchene alternativmedizinische Ideen als letzter sicherer Hafen erscheinen.

Warum ist das so und was hat das alles mit der Gretchenfrage zu tun? (Keine Angst! Zu dem Waschbären kommen wir später auch noch.)

Die klassische Gretchenfrage in Goethes Faust war ja: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Also, ich für meinen Teil hab’s zwar mit knallhartem Atheismus probiert. War aber nix für mich.
Eine Welt so ganz ohne Magie? Nö.
Und was noch viel wichtiger ist: Ohne tieferen Sinn? Absolut nö!
Andererseits halte ich eben auch echt viel von moderner (Natur-)Wissenschaft.

Was nun?

Ich lebe etwas, das ich als rationale Spiritualität bezeichnen würde.
Ich versuche mich den ganz großen Fragen nach Sinn, Tod, Moral und dem ganzen „Deep Shit“ zu stellen, ohne überholte, religiöse Dogmen anzuwenden und die Grundsätze der Wissenschaft in Frage zu stellen.

In meinen Augen ist es höchste Zeit, dass wir einen Weg finden, das menschliche Grundbedürfnis nach Rückbindung (lat. religere -> Religion) zu versorgen, in Einklang mit neuzeitlichen Erkenntnissen. Denn dieses Bedürfnis ist einfach da, das Bedürfnis nach Orientierung und Halt, nach Gemeinschaft und der Beantwortung von Sinnfragen. Und bei aller Liebe zur Naturwissenschaft, dieses Bedürfnis kann sie offensichtlich allein nicht stillen. Wir brauchen mehr. Aber woher holen wir dieses „Mehr“?

Wenn wir diese Frage erfolgreich beantworten, dann gibt es vielleicht irgendwann weniger Menschen, die an irgendwelche abstrusen Verschwörungen glauben oder sich von Scharlatanen und ihren Heilsversprechen über den Tisch ziehen lassen. Vielleicht gäbe es auf lange Sicht sogar weniger religiösen Fundamentalismus.

Wir brauchen neue Wege, Sicherheit zu erleben in einer sehr verunsichernden Welt oder Geborgenheit in einer Gemeinschaft oder Trost für all die Dinge, die eben schiefgehen im Leben und sich frustrierender Weise unserer Kontrolle entziehen. Denn darum geht es den Menschen eigentlich, wenn sie sich eine Religion, einen Kult oder eben eine Verschwörungstheorie suchen: Geborgenheit, Sicherheit, Anbindung, Trost und nicht zuletzt Sinn in diesem ganzen Chaos, das sich unsere Welt nennt.

Denn diese Welt ist unübersichtlich, verunsichernd und man kann als Einzelner gar nicht verstehen, wie sie funktioniert. Und selbst wenn man sich bemüht dahinter zu steigen, bleibt man oft sehr frustriert zurück, weil die Geschichten, die man uns als Kinder erzählt hat und an denen sich viele auch als Erwachsene noch festhalten, einfach nicht stimmen: von Gerechtigkeit und Demokratie und dass die Erwachsenen immer wissen, was zu tun ist und dass am Ende die Guten gewinnen und dass wir uns darauf verlassen können, dass irgendwer einen Plan hätte und dass es überhaupt sowas gibt wie richtig und falsch.

Ich kann jetzt nur für mich ganz persönlich sprechen, aber diese Erkenntnisse vor einem gänzlich spiritualitätsbereinigten Atheismus zu ertragen, war für mich nicht möglich ohne so richtig böse menschenverachtend und zynisch zu werden. Und ich habe zumindest das Gefühl, dass es mir da nicht alleine so geht.

Spiritualität ist für mich also sehr wichtig auf einer sinngebenden, selbstreflektierenden Ebene. Sinngebende Elemente finden sich dabei in traditionellen Religionen, genauso wie in moderner Philosophie oder auch ganz einfach im eigenen Nachdenken (Ja, Letzteres ist, fürchte ich, unvermeidlich, wenn man da zu was kommen will). Für mich persönlich machen viele Ansätze aus dem Buddhismus oder der Yogaphilosophie Sinn, aber das kann bei jemand anderem ganz anders sein. Wir haben den Segen und den Fluch einer sehr individualistischen Gesellschaft, die vermutlich jeden Einzelnen dazu nötigt, selbst zu schauen, wo er die Antworten herbekommt. Leider klappt das bisher nicht ganz so super, wie man eben an den Auswüchsen der Eso- und Verschwörungsszene sieht.

Also gleich nochmal: Was nun?

Mein kleiner Ganesha-Schrein, ganz traditionell mit Kerzchen, Räucherstäbchen und Papadams

Ich habe für mich klare Grundsätze für Spiritualität festgelegt, mit denen es meiner Meinung nach auch für andere funktionieren könnte:

Wichtig ist, dass Spiritualität dem Einzelnen und gern auch einer Gruppe dieses Gefühl von „Rückbindung“ gibt, die eben einer der ursprünglichen Inhalte von Religion ist und dass sie sonst niemandem schadet.

Nichts zu suchen hat sie meiner Meinung nach bei der Beantwortung von Fragen, die von der Wissenschaft klar gelöst wurden oder als Rechtfertigung für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Dort toleriere ich weder traditionelle Religionen noch selbstgebasteltes New-Age Geschwurbel (was bis auf ein paar Jahrhunderte in der Zeitrechnung in meinen Augen das Gleiche ist).

Jaja, aber was ist denn jetzt eigentlich mit dem Waschbären?
Moment! Kommt gleich!

Wenn ich ganz ehrlich bin, nur so sinngebend vor mich hin zu grübeln und yogische Lehren zu studieren, bringt einen zwar persönlich ganz toll weiter, befriedigt aber mein persönliches Rückbindungsbedürfnis auch noch nicht. Ein bisschen Magie muss schon sein.

Deshalb mag ich zum Beispiel Fantasy – zum Lesen, zum Anschauen oder zum selber Machen.

Deshalb pflege ich aber auch gern kleine Rituale, die einfach der Psyche gut tun und mir helfen das Bedürfnis nach ein Bisschen Magie und Kontrolle des Unkontrollierbaren auszudrücken. Oft gestalte ich diese in Anlehnung an Kulturen, die mich faszinieren oder Religionen, deren Lehren ich für mich persönlich am ehesten hilfreich finde. Zum Beispiel ist da mein kleiner Elefantengott Ganesha, dem ich gelegentlich Räucherstäbchen anzünde oder kleine Speiseopfer darbringe, damit sich zum Beispiel meine phantastischen Geschichten gut verkaufen (Ganesha ist in der indischen Mythologie unter anderem für materiellen Wohlstand zuständig). Ich mache das nicht, weil ich wirklich daran glaube, dass dann ein indischer Elefantengott durch meinen Garten trampelt, um sich einen der leckeren Kekse meiner Schwiegeroma zu ergattern und dafür verkauft er dann meine Bücher. (Wobei, wie cool wäre das denn?)

Ich mag einfach diesen kleinen magischen Moment. Vor allem was Anzünden ist immer irgendwie magisch. (OOOOOK, das klingt jetzt schräg. Ich meine kleine Sachen wie Kerzen und Räucherstäbchen! Ihr wisst schon: niemandem schaden und so. 😉 )

Die Moral von der Geschicht: Man kann nie reflektiert genug sein, was die eigenen Vorstellungen angeht.

Genauso ist es zum Beispiel auch, wenn ich im Urlaub in die nächstbeste Kirche renne und Kerzen für gutes Wetter anzünde, obwohl ich mit dem christlichen Gott echt nicht mehr viel am Hut habe. Das ist einfach eine alte Familientradition und es gibt eben diesen besinnlichen Moment, in dem ich darüber nachdenke, was ich ganz persönlich daraus machen oder sogar daraus lernen könnte, wenn das Wetter vielleicht doch nicht so toll wird, statt mich nur drüber aufzuregen, dass das ja jetzt ausgerechnet wieder mir passieren muss.

Lustigerweise schaffen es ja total viele, angeblich unspirituelle Leute, sich über Dinge wie schlechtes Wetter und anderes Pech aufzuregen, als würden sie doch daran glauben, dass sich das ganze Universum gegen sie persönlich verschworen hat. Da ist es schon paradox, aber eben auch bezeichnend für meine Vorstellung von Spiritualität, dass sie mir hilft rationaler zu sein, gerade weil ich über solche Dinge nachdenke.

Was??? Ach ja, der Waschbär…

Tja, also für einen ganz kurzen, sehr magischen Moment war ich doch etwas verblüfft, dass meine Speiseopfer scheinbar tatsächlich angenommen wurden. Dann fiel mir aber sehr schnell wieder ein, dass wir ja auf dem Land leben und sich hier gern mal Tierchen herumtreiben, die sich daran gütlich getan haben könnten.

Und zwei Tage später haben wir dann tatsächlich einen Waschbären fotografiert, der bei uns im Garten herumschlich. Seitdem führe ich Diskussionen mit meinem Mann, ob meine religiösen Praktiken eine Waschbärplage auslösen könnten.

Die Moral von der Geschicht: Man kann nie reflektiert genug sein, was die eigenen Vorstellungen angeht.

Wow! du hast bis hierher interessiert gelesen? Dann könnten auch meine Geschichten was für Dich sein. Die lesen sich sogar noch etwas besser 😉

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